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Alles nimmt seinen Lauf

von Kalliope




1.Kapitel

Kapitel 1

Lizzie saß am Bach umgeben von hohem, hellgrünen Grashalmen, die sich im Wind bogen. Ihre Füße hielt sie in das noch recht kühle Morgenwasser. Leicht lächelnd blätterte sie vorsichtig eine der alten Seiten ihres in dunklem Leder gebunden Buches um, das auf ihrem Schoß lag, und strich sich eine braune Locke, die sich vorwitzig aus ihrem im Nacken zusammengebundenen Haarknoten gelöst hatte, hinter das Ohr. Es war still, bis auf das Rauschen des kleinen Baches und das Zwitschern der Vögel, die munter über ihrem Kopf umherschossen. Plötzlich hörte sie von weit her die dumpfen Klänge vom Galopp mehrere Pferde zu ihr herüberhallen. Die Geräusche kamen näher, und schließlich hielten die Reiter in einiger Entfernung am oberen Ende des Abhangs, an dessen Senke sich der kleine Silberlauf entlang wandt, an dem Lizzie saß. Neugierig, wer hier so früh am Morgen entlang reiten könnte, jedoch etwas scheu harrte sie still an ihrem Platz und gab vor, weiterhin zu lesen. Die Gruppe war sich offenbar sicher, nicht gehört zu werden, Elizabeth vernahm jedoch deutlich ihre Stimmen, und so lauschte das Mädchen ihrer Unterhaltung.

"...in dieser einfachen Bekleidung kann es sich nur um ein Mädchen niederen Standes handeln." Das war ohne Zweifel die Stimme einer jungen Dame.
"Woher willst du das so genau wissen, Schwesterherz?" Jetzt sprach ein Mann, mit ausgelassener Stimme.
"Nun, schon alleine die Art, wie sie ihre Füße in das schmutzige Wasser hält, lässt doch auf ihre schlechten Manieren schließen."
"Aber aber!" fiel ihr der Mann ins Wort, "du willst doch nicht behaupten, nur weil sie aus schlechten Verhältnissen kommt, besitzt sie keine Manieren! Eine gute Erziehung kostet schließlich nichts!"

Darauf wusste die Frau offenbar nichts zu erwidern, denn es trat ein kurzes Schweigen ein. Lizzie war sich sicher gewesen, mehr als zwei Reiter gesehen zu haben, und deshalb war es nicht weiter verwunderlich, dass sie eine dritte, zweifelsohne ebenfalls männliche Stimme hörte, die etwas tiefer und dunkler klang als die des ersten Herrn. Jedoch sprach dieser Herr so leise, dass sie ihn kaum verstand. Daraufhin meldete sich die Frau wieder zu Wort.

"Sicher nur ein simples Volksbuch, wie es sie auf den Märkten zu kaufen gibt."
"Warum bist du dir da so sicher? Es könnte sich genauso gut um eine wissenschaftliche Abhandlung handeln."

Lizzie lächelte matt. Der Mann hatte also nach dem Buch gefragt, welches sie las. Dann hörte sie den ersten Herrn wieder lachen.

"Wie wäre es, wenn ihr darum wettet? Wenn es sich so verhält, wie Darcy sagt, musst du sämtliche Vorurteile vergessen. Aber wenn du recht hast, meine Liebe, erledigt Darcy morgen deine Besorgungen. Nun, was sagt ihr?"
"Ich sage, dass es albern ist und das sie uns aller Wahrscheinlichkeit nach hören kann." Der zweite Herr senkte die Stimme. Der erste lachte unbekümmert, und die Dame forderte den Mann namens Darcy auf, Lizzie fragen zu gehen. Er grummelte, doch gleich darauf hörte sie Schritte die Senke hinab schreiten. Mit klopfenden Herzen wandte sich Elizabeth wieder ihrem Buch zu.

Einige Minuten später waren keine Schritte mehr zu hören, und Lizzie hatte das ungute Gefühl, dass jemand hinter ihr stand. Doch sie drehte sich nicht um, da sie damit offenkund täte, dass sie die Gesellschaft gehört hatte. Sie wartete darauf, dass man sie ansprach.

Darcy hatte etwa anderthalb Meter vor dem Mädchen halt gemacht und starrte jetzt auf ihren Rücken. Er war sich dieser Unhöflichkeit bewusst, jedoch fiel ihm partout nicht ein, was er hätte sagen sollen. Es war eigentlich eine wirklich dumme Idee gewesen, hinunter zu gehen, dachte er. Typisch Bingley. Er wartete darauf, dass sie sprach, doch offenbar hatte sie ihn nicht bemerkt, was er schon etwas seltsam fand, denn Darcy war bei weitem nicht unscheinbar. Er betrachtete sie weiter. Ihr Haar war etwas heller, als er angenommen hatte, und ihr einfaches, weit geschnittenes Kleid hatte in etwa die selbe Farbe. Auf einmal sprach sie doch, jedoch ohne sich umzuwenden.

"Ich halte es für sehr unhöflich, dass Sie so unverfroren hinter mir stehen, denn sie nehmen mir die Sonne." Sie hatte eine helle, lebhafte Stimme, und Darcy war sich nicht ganz sicher, er meinte jedoch den Schalk aus ihr herauszuhören. Dann drehte sie sich doch um und sah ihn vorwurfsvoll an. Verlegen räusperte sich Darcy und sagte mit einer leichten Verbeugung: "Entschuldigung, das ist gewiss nicht meine Absicht gewesen."

Elizabeth musterte ihn. Er war groß, schlank und machte irgendwie einen dunklen Eindruck, so wie seine Stimme. Er trug einen dunkelblauen Frack mit passendem Zylinder, unter dem ein paar hellbraune Strähnen hervorlugten. Insgesamt zeugte seine Kleidung von Stand, wie sie es sich gedacht hatte. An seinem Gesicht fielen ihr als Erstes die durchdringenden blauen Augen auf. Sie zog die Augenbrauen zusammen, um ihre wahre Gesichtsregung zu verbergen und sagte dann munter: "Nun, was ist dann ihre Absicht? Sie wollen mir doch nicht erzählen, sie stünden einfach so hinter mir, oder?"

Diese Person machte Darcy noch nervöser, als die Situation es ohnehin schon verursachte. Sie war doch ein wenig älter, als er angenommen hatte, um genau zu sein, konnte sie nicht sehr viel jünger sein als er selbst. Sie hatte ein schmales Gesicht, lebhafte braune Augen und dünne, helle Lippen, aber dafür erstaunlich dunkle und gerade Augenbrauen. Aus irgend einem Grund konnte Darcy ihr nicht weiter ins Gesicht sehen, und stattdessen blickte er verlegen zu Boden.

"Nun, meine Begleitung" - er wies mit einer Handbewegung den Hügel hinauf - "und ich fragten uns, welches Buch Sie da wohl lesen." Darcy sah das Mädchen erwartungsvoll an. Lizzie musste ein Lachen über diese Unverschämtheit unterdrücken.
"Und wenn ich es Ihnen sage - was haben sie dann davon?"
Es war offensichtlich, dass sich der Herr im Moment nicht ganz wohl in seiner Haut fühlte, und Elizabeth sah es mit Genugtuung. Er entschuldigte sich abermals und sagte dann: "Ich bin für gewöhnlich kein besonders neugieriger Mensch, jedoch kann ich nicht bestreiten dass diese Information für mich von Interesse ist, da" - er zögerte kurz - "eine alberne Wette davon abzuhängen scheint."
Wenigstens ist er ehrlich, dachte Lizzie.
"Nun, dann wird es Sie freuen, zu hören, dass ich Utopia von Thomas Morus lese, wenngleich ich eine solch seltsam anmutende Frage an eine Fremde nur widerwillig beantworte."
Der Mann runzelte die Stirn.
"Dann haben sie unser Gespräch mitbekommen?"
Lizzie nickte ruhig. "Das war kaum zu vermeiden", sagte sie.
Offenbar wurde sich Darcy nun dieser offenkundigen Unverschämtheit bewusst.
"Nun...dann bin ich natürlich...also, ich verstehe, dass ist nicht zu billigen...Miss, ich entschuldige mich für das Benehmen meiner Begleiter und ebenso für meines. Ich danke ihnen für die Auskunft, und es tut mir furchtbar Leid, sie belästigt zu haben."

Vollkommen durcheinander verbeugte sich Darcy hastig und ging schnellen Fußes wieder den Hang hinauf. Was hatten sie sich nur dabei gedacht, so offen über diese Person, die sie nicht kannten, zu sprechen! Dies konnte er ruhigen Gewissens als den bisher peinlichsten Moment seines Lebens bezeichnen, denn normalerweise war Darcy, der eine sehr gute Erziehung genossen hatte, ganz Gentleman. Er war ebenso zornig auf Caroline, denn diese herablassende Art, die sie oft in der Öffentlichkeit an den Tag zu legen pflegte, war einer der Charakterzüge, die ihn an Bingleys Schwester schlichtweg störten.

Er war wieder bei seinen Freunden angekommen, gab kurz angebunden die geforderte Auskunft über das soeben geführte Gespräch, schwang sich auf seinen Rappen und galoppierte davon. Mit einem letzten Gedanken an das Vorgefallene hoffte er inständig, das Mädchen nicht wieder sehen zu müssen. Doch dies bezweifelte er ernsthaft, denn da sie neu auf dem Land waren, würde wohl bald die halbe Nachbarschaft auf Netherfield vorsprechen.

Lizzie unten am Bach sah der Gruppe nach, wie sie wieder davonritt, wunderte sich ausgiebig über deren Benehmen ihr selbst gegenüber und fragte sich, wer die drei waren, wo sie her kamen und ob sie den Mann wohl wiedersehen würde. Sie spielte mit dem Gedanken, ihrer Familie von der seltsamen Begegnung zu erzählen, doch dann stellte sie sich die Reaktionen der anderen vor, die bei der Nachicht von neuen, wohlhabenden Nachbarn - ins Besondere ihre Mutter - aus allen Wolken fallen würden. Elizabeth wollte nicht der Urheber erneuter Aufregung sein, da es zu Hause sowieso schon turbulent zuging. Und schließlich konnte sie sich genauso gut irren, möglicherweise waren die Herrschaften hier nur irgendwo zu Besuch. Schließlich entschied sie sich, allerhöchstens Jane von dem Mann namens Darcy zu berichten. Lizzie seufzte, klappte ihr Buch zu, stand auf und machte sich wieder auf den Weg nach Longbourne, um nicht vielleicht noch eine kurzfristig beschlossene Ausfahrt nach Merryton oder dergleichen zu verpassen, denn es versprach ein schöner Tag zu werden.


...Fortsetzung folgt

© 2006 Kalliope



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